Der perfekte Bürostuhl: Funktionen, Ergonomie & Alternativen
Der perfekte und ergonomische Bürostuhl wird bestimmt durch Details und individuelle Anpassungen. Mit anderen Worten: den «einen» Stuhl gibt es nicht. Die folgenden Regeln und technischen Voraussetzungen bieten aber einen Überblick.
Der Bürostuhl gehört zusammen mit Schreibtisch und Beleuchtung zu den Basics der Büroeinrichtung. Angesichts der enormen Zeit, die wir im Sitzen verbringen, ist eine sorgfältige Auswahl wichtig – ein gesunder Rücken und Produktivität sind der Dank:
Da wir viel sitzen, sollten wir gut sitzen. Gutes Design und ermüdungsfreies Sitzen schließen sich übrigens nicht aus: Ergonomie ist inzwischen eher eine Grundvoraussetzung.
Die Auswahl des passenden Stuhls
Wie sieht nun der perfekte Bürostuhl aus? Vor dem Kauf eines Arbeitsstuhls sollte man sich vergegenwärtigen, um welche Tätigkeiten es überhaupt geht. Ist z.B. der konzentrierte Blick auf den Monitor wichtig oder eine bewegliche Position am Tisch, die einen Drehstuhl auf Rollen erfordert?
Je länger das Sitzen dauert, umso besser sollte der Stuhl auch ausgestattet sein. Bereits eine Stunde auf einem unpassenden Arbeitsstuhl kann Rückenschmerzen verursachen. Hilfestellung bei der Bürostuhl-Auswahl sind das GS-Zeichen oder die 2020 aktualisierte, internationale Norm DIN EN 1335.
Die perfekte Sitzposition: gute Haltung
Idealerweise sieht die Sitzposition so aus: Die Füße stehen komplett auf dem Boden. Ober- und Unterarme bilden einen Winkel von 90 bis 100 Grad zur Arbeitsfläche und können sich auf den Armlehnen (Tischhöhe) bequem abstützen.
Der Beinwinkel liegt bei knapp über 90 Grad, zwischen Kniekehle und Sitz sind 2 bis 4 cm Luft. Die Sitzfläche befindet sich 20 bis 28 cm unterhalb der Arbeitsfläche. Mit diesen Voraussetzungen und dem richtigen Monitor sollte sich die Augenhöhe etwa auf Höhe der oberen Bildschirmkante befinden. Der Kopf wird damit nicht zu sehr geneigt.
Und auch wenn wir dies die perfekte Position nennen: bitte nicht in dieser Haltung verharren. Detaillierte Informationen zum richtigen Sitz bietet etwa die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin oder die schweizerische EKAS.
Herman Miller: Aeron Bürodrehstuhl
Mechanik-Ratgeber für dynamisches Sitzen
Welche Mechanik und Bauteile sind nötig, um die richtige Sitzposition zu finden? Sitzen hat viele Formen. Der Wechsel zwischen allen möglichen Sitzpositionen nennt sich dynamisches Sitzen: flexibel und frei bewegt sich der Nutzer zwischen aufrechter Haltung und dem Zurücklehnen oder seitlichen Positionen. Dafür verfügen Bürostühle über unterschiedliche Sitzmechaniken an der zentralen Verbindung aller Bauteile
- Wippmechanik: Sitz und Rückenlehne sind gekoppelt, so dass der Winkel zwischen Beinen und Rücken beim Wippen gleichbleibt. Wichtig ist der Drehpunkt dieser «Wippe». Liegt er zentral, führt das zu einem sog. Schaukelstuhleffekt, bei neueren Bürostühlen ist der Drehpunkt vorn unter den Knien. Eine Wippmechanik bietet dem Nutzer einen begrenzten Aktionsradius.
- Synchronmechanik: Ähnlich der Wippe sind auch hier Sitz und Lehne verbunden, doch hat die Rückenlehne hier größeren Neigungsspielraum als der Sitz. Dadurch öffnet und schließt sich der Winkel zwischen Beinen und Rücken beim Wippen – und mehr Bewegung ist möglich.
- Asynchronmechanik: Sitz und Lehne sind beweglich und entkoppelt, sie lassen sich dadurch unabhängig voneinander frei bewegen.
- Permanentmechanik: Hier sind Sitz und Rückenlehne nicht verbunden. Die Lehne lässt sich frei bewegen und federt von selbst in die aufrechte Position zurück. Der nötige Druck dafür sollte sich justieren lassen.
- 3D-Mechanik: Diese Technik ermöglicht die freie Bewegung vor- und rückwärts, seitlich sowie zusätzlich in der Höhe. Der Körperschwerpunkt bleibt stabil, alle Bewegungsrichtungen sind offen – Muskulatur und Gelenke werden sowohl unterstützt wie gefordert.
- Federung: Vielleicht das zentralste Element ist die stufenlose Höhenverstellung des Sitzes, ermöglicht durch eine Gasdruckfeder im Stuhlbein. Die Sitzhöhe lässt sich mit einem Einstellhebel auf die eigene Köpergröße heben.
Bürostuhl Bauteile: So ist ein Stuhl aufgeteilt
Neben der Mechanik für mehr Beweglichkeit hat ein professioneller Bürostuhl weitere Bauteile, die ein ermüdungsfreies und entspanntes Arbeiten ermöglichen. Was nach einer Überzahl von Details aussieht, erweist sich im Alltag schnell als komfortabel.
- Armlehnen: Die Armlehnen sollten etwa 20 cm lang sein (und nicht schmaler als der Arm), 20 bis 25 cm über der Sitzfläche angebracht sein und in der Position dreidimensional variabel.
- Lumbalstütze: Die Lordosenstütze oder Lumbalstütze befindet sich im unteren Bereich der Rückenlehne. Sie sichert, individuell einstellbar, den Lendenwirbelbereich durch Unterstützung der natürlichen S-Form der Wirbelsäule.
- Sitzfläche: Wichtig ist hier die flache Abrundung an der Vorderkante, um in allen Sitzpositionen ein Abklemmen der Durchblutung zu verhindern. Da jeder Körper anders gewachsen ist, sollte hier eine Tiefenverstellung für Feinabstimmung sorgen. Insgesamt sollte der Sitz leicht nach vorn abfallen, um eine aufrechte Körperhaltung zu provozieren.
- Rollen: Ein wenig Bürostuhl-Synchrontanz? Ganz ernsthaft: jede Bewegung ist ein Gewinn. Unterschieden wird bei diesem wichtigen Bauteil zwischen Hartboden- (z.B. Parkett) und Weichbodenrollen (Teppiche etc.). Viele Hersteller bieten heute auch Rollen an, die «für alle Böden geeignet», besonders leise oder sicherheitsgebremst sind. Wichtige Faktoren: Farbabrieb & Rollwiderstand.
Das Material: Polster, Stoffbezug, Netzbespannung
Ein weiches Polster ist herrlich gemütlich aber auch bald durchgesessen. Beim Sitz kommt es auf eine gute Verteilung des Körpergewichts an. 70 Prozent davon «lasten» auf dem Sitz. Ein Polster mit einem Stoffbezug hält die Körperwärme, was vor allem im Winter angenehm ist. Der Echt- oder Kunstlederbezug wirkt dagegen zumindest anfangs noch etwas kühlend, ist aber eher ein ästhetischer Faktor. Günstiger und luftiger ist die Netzbespannung – für Anzugträger allemal ein Gewinn.
Klassifikation: Chefsessel, Konferenzstuhl, Hocker, Gaming-Stuhl
Den „einen“ Bürostuhl gibt es nicht – wenn auch unser Bild eines Bürostuhls am ehesten der Produktgruppe „Chefsessel“ entspricht: Rollen, gepolsterte Sitzflächen und ein behaglich hoher Rücken. Gemeint ist jedoch der geläufige Schreibtischstuhl. Besucher- und Konferenzstühle unterscheiden sich davon durch eine leichtere und stapelbare Bauweise, die hohe Flexibilität etwa für große Personenzahlen ermöglicht. Aus gesundheitlichen Gründen ist das moderne Büro beim Sitzen flexibler – Sitzbälle oder Hocker erweitern das dynamische Sitzen.
Hier ist die Muskulatur ist gefordert, um die Rückenlehne zu ersetzen. Im Lounge-Bereich finden zudem Büro Liegen und Daybeds Platz, auf denen in Pausen geruht oder zumindest an einem Laptop auch gearbeitet werden kann. Der Gaming-Stuhl eignet sich natürlich auch fürs Büro, ausgelegt für intensives Sitzen und optisch inspiriert vom Rennsport. Kurz gesagt: konzipiert für die Langstrecke.
Anders sitzen: Bürostuhl-Alternativen
Es muss nicht zwingend ein Bürostuhl sein? Hocker, Stehhilfen oder Sitzbälle sind gute Alternativen, die das bewegte Sitzen unterstützen – und als Ergänzung einfach Spaß machen. Interessant sind die vielseitigen Möglichkeiten: Ein Schreibtischhocker lässt sich auch als Ablage verwenden, der Sitzball auch als Sportgerät und die Stehhilfe ist auch bei Konferenzen und Mittagspausen ein beliebtes Utensil.
Der Bürostuhl fürs Homeoffice
Wird beim Schreibtisch in der mobilen Arbeit oft aus Platzmangel improvisiert, so ist das Bekenntnis zum professionellen Bürostuhl gerade im «Homeoffice» wichtig. Ein 8-Stunden-Tag auf einem Küchenstuhl ist eine Qual. Doch von ergonomischen Gesichtspunkten abgesehen gelten bei der Einrichtung des häuslichen Büros eventuell noch weitere Bedingungen. Heimische Fußböden (möglicherweise Parkett?) und ein geringeres Platzangebot erfordern andere Konfigurationen als im Großraumbüro: Smart und dezent statt wuchtig-mondän. Auch ist gegebenenfalls die private Verwendung zu berücksichtigen.
Der passende Schreibtisch zum Stuhl
Optisch und ergonomisch sollte der Arbeitstisch zum Bürostuhl passen. Das bewegte Sitzen auf unterschiedlichen Höhen unterstützt ein höhenverstellbarer Schreibtisch ideal. Für das Maximum an Beweglichkeit sollte der Tisch keinen Unterbau in Form von Schubläden haben. Nötige Kabel sollten weder den Tisch noch den vielbewegten Stuhl blockieren können.
Ein früher Bürostuhl von ca. 1920 - drehbar und höhenverstellbar - Quelle Auckland Museum Wikipedia.jpg
Die Geschichte des Bürostuhls: Thron & Chefsessel, Schemel & Bank
Der Sitz war immer auch ein Statussymbol. Nur Pharaonen, Kaiser und Könige durften erhöht sitzen. Viele Sprachen bezeugen diese Verbindung von Macht und Möbelstück: vom «Regierungssitz» bis hoch zum «Heiligen Stuhl». Spätestens im Mittelalter durften die anderen aber auch mal Platz nehmen: Sitzbänke für Ritter und Adel hatten vor allem gastronomisch-gesellschaftliche Funktion. Auch auf dem Kirchengestühl saßen zunächst nur die an der Liturgie Beteiligten – wenn man so will eine erste Form des «Arbeitsstuhls».
Auch die Kaufleute im Spätmittelalter setzten sich zu ihren Versammlungen in den Kontoren noch auf Bänke. Im 18. Jahrhundert taucht mit dem «Windsor-Stuhl» ein erster Stuhl auf, der sowohl leicht an die Körperform angepasst ist als auch, dank geringem Materialbedarf, in größeren Stückzahlen hergestellt werden konnte. Industrialisierung und zunehmende Arbeitsteilung brachten auch mehr Schreibarbeit mit sich – ein Siegeszug des Sitzens.
Die erste Stuhl-Federung entstand etwa um 1840. Mitte des 19. Jahrhunderts formuliert auch der polnische Forscher Jastrzebowski erstmalig das Konzept der Ergonomie, um die «besten Früchte bei der geringsten Anstrengung» zu erhalten – seine Texte geraten jedoch bis etwa 1960 in Vergessenheit. Auf Basis eines amerikanischen Bürostuhls entwickelt Stoll 1926 den Stuhl «Federdreh» mit drehbarer Säulenfederung. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts kamen die deutlichsten Veränderungen hinzu: Durch die klaren Linienführungen des Mid century modern, die vermehrte Verbreitung von Kunststoffen als Material sowie neue Anforderungen bei den Arbeitsbedingungen wurden Design und Ergonomie des Bürostuhls nachhaltig geprägt.